Neonazis vor Gericht: Zweiter Prozess gegen Knockout 51 beginnt in Jena
Der Prozess gegen drei Männer wegen der Mitgliedschaft und Unterstützung der Neonazi-Kampfsportgruppe „Knockout 51“ beginnt vor dem Oberlandesgericht Thüringen in Jena.
(Quelle: picture alliance/dpa | Martin Schutt)
In Eisenach wollten sie sich als „Ordnungsmacht“ inszenieren, nun stehen sie vor Gericht: Am 28. April beginnt der zweite Prozess gegen die Neonazi-Gruppe Knockout 51 am Thüringer Oberlandesgericht (OLG) in Jena. Angeklagt sind Kevin N. als Mitglied und Rädelsführer, Marvin W. als Mitglied und Patrick W. als Unterstützer einer kriminellen und terroristischen Vereinigung. Anders als beim letzten Prozess musste das OLG dieses Mal die Anklage der terroristischen Vereinigung nach einer Beschwerde der Generalbundesanwaltschaft (GBA) zulassen.
Knockout 51 ist besonders als rechtsextreme Kampfsportgruppe bekannt. Wie Antifaschist*innen und auch die anklagende GBA aber immer wieder betonen, diente das gemeinsame Kampfsporttraining dazu, sich im nationalsozialistischen Sinne zu organisieren. Durch Angriffe auf politische Gegner*innen und sonstige Feindbilder sollte die rechtsextreme Ideologie in die Tat umgesetzt werden. Seit spätestens 2019, so die Anklage, soll die Gruppe sich bewaffnet, Schusswaffen hergestellt und an Schießtrainings in Tschechien teilgenommen haben. In einem Video von diesen Schießtrainings ist zu sehen, dass die Zielscheibe durch ein Antifa-Symbol ersetzt wurde.
Mit Beginn der Pandemie fuhr die Gruppe bundesweit zu Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, immer auf der Suche nach gewalttätigen Konfrontationen mit Polizei und politischen Gegner*innen. In Eisenach selbst versuchte Knockout 51 sich als „Ordnungsmacht“ aufzuspielen. Sowohl Kevin N. als auch Marvin W. sollen an sogenannten „Kiezstreifen“ teilgenommen haben. Diese hätten zum Ziel gehabt, der Gruppe unliebsame Personen – vor allem Linke, BPoC sowie Drogenabhängige und -dealer*innen – einzuschüchtern und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Auch tödliche Angriffe auf politische Gegner*innen soll die Gruppe geplant haben. Vor allem deswegen wird sie als terroristische Vereinigung angeklagt.
Nur kriminell oder auch terroristisch?
Zu der Frage, ob Knockout 51 nur eine kriminelle oder ebenso eine terroristische Vereinigung darstelle, hatte im Vorfeld des Prozesses ein Rechtsstreit zwischen der GBA und dem Thüringer OLG stattgefunden. Laut der GBA planten die Neonazis ab spätestens April 2021, Angriffe durch Linke für einen tödlichen Gegenangriff zu nutzen. Knockout 51-Mitglieder hätten also nicht nur überlegt, was im Fall eines Angriffs zu tun sei, sondern gezielt einen solchen herbeiführen wollen, um unter dem Deckmantel der Notwehr politische Gegner*innen töten zu können.In der Lesart des OLG hingegen hätten die Neonazis keine Tötungen aktiv gewollt, sondern sich diese Möglichkeit nur vorgestellt.
Zudem sah das OLG keine besondere Bedeutung des Falls, da die begangenen Straftaten „keine erhebliche Einschüchterung der Bevölkerung hervorgerufen hätten“. Aus diesen Gründen sollte das Verfahren in einer niedrigeren Instanz, am Landgericht Gera, stattfinden. Die GBA legte unverzüglich Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein. Dieser entschied im Februar 2025 im Sinne der GBA – sah also einen hinreichenden Verdacht für eine terroristische Vereinigung. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wurde neben der zunehmenden Bewaffnung von Knockout 51 das Auftreten der Gruppe als vermeintliche „Ordnungsmacht“ in Eisenach betont: „Auch wenn der Anspruch der Organisation insofern lokal begrenzt war, bleibt es für das Vertrauen der Bevölkerung und das Erscheinungsbild des Gesamtstaates nicht ohne Auswirkung, wenn das staatliche Gewaltmonopol aus politisch-extremistischen Gründen […] in Frage gestellt wird.“
Die Knockout 51-Mitglieder Leon R., Maximilian A., Bastian A. und Eric K. wurden bereits 2024 vor dem OLG in Jena ausschließlich wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. In seinem Urteilsspruch argumentierte der Richter Martin Giebel, dass die Angeklagten sich vor allem zum Zweck der Abschreckung bewaffnet hätten. Im Vergleich zu tatsächlich terroristischen Gewalttaten, so der Richter, hätten sich potentielle Opfer von Knockout 51 schützen können, indem sie selbst keine Gewalt ausübten. Das Urteil erntete heftige Kritik. So erklärte Theresa Lauß von der Betroffenenberatungsstelle ezra in einer Pressemitteilung: „Die skandalöse Urteilsbegründung, die auf ein vermeintliches Notwehrrecht verweist, ist nicht nur eine Täter-Opfer-Umkehr, sondern könnte die Taten auch noch legitimieren.“ Die GBA legte Revision ein, eine Entscheidung steht noch aus. Um eine Unvoreingenommenheit zu wahren, hat der Bundesgerichtshof die Eröffnung des nun beginnenden Verfahrens an einen anderen Senat des Gerichts beordert.
Rechtsextreme Kontinuitäten
Die Behauptung, dass die Mitglieder von Knockout 51 wenn, dann nur aus Notwehr gehandelt hätten, passt gut in die Selbstdarstellung der Neonazis. Demnach wären sie erst tätig geworden in Reaktion auf Angriffe auf Leon R. und seine Kneipe 2019 und 2021 durch Linke. Wer dieser Argumentation folgt, ignoriert jedoch die lange, gewaltvolle und gut dokumentierte Vorgeschichte der Gruppe in Eisenach. So betont die Landtagsabgeordnete der Linken, Katharina König-Preuss, im Gespräch mit Belltower.News: „Es existiert seit Jahren behördliches Wissen über massive rechtsextreme Straftaten – doch es wurden weder angemessene Konsequenzen gezogen noch frühzeitig strukturierte Ermittlungen gegen Knockout eingeleitet. In der Folge wusste die Eisenacher Neonazi-Szene, dass sie weitgehend ohne Konsequenzen agieren konnte – und radikalisierte sich zunehmend.”
Exemplarisch lässt sich das an der Person Kevin N. nachzeichnen. Dieser organisierte sich zunächst gemeinsam mit Leon R. im 2017 aufgelösten „Antikapitalistischen Kollektiv”, das der Szene der Autonomen Nationalisten zugeordnet werden kann. Parallel dazu bildete sich in Eisenach der „Nationale Aufbau” als lokale, rechtsextreme Jugendgruppe. Auch hier waren Kevin N., Leon R. und Maximilian A. aktiv. Mit Graffiti und Stickern versuchten sie, ihr Revier zu markieren; mit Angriffen und Morddrohungen, politische Gegner*innen einzuschüchtern. Kevin N. tat sich dabei als besonders gewalttätig hervor. 2019 wurde er wegen mehrerer Fälle gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigungen und Waffenbesitz zu einer mehrjährigen Haftstrafe, ausgesetzt auf Bewährung, verurteilt. Seine Aktivitäten in der rechtsextremen Szene sind dadurch nicht weniger geworden. Allein 2020 kämpfte er beim rechtsextremen Kampfsport-Vernetzungstreffen „Kampf der Nibelungen” und tauchte in einem Ermittlungsverfahren gegen die rechtsextreme Hooligangruppe „Jungsturm” aus Erfurt auf. Zudem soll er im Umfeld von „Kontrakultur Erfurt”, eines Ablegers der rechtsextremen Identitären Bewegung, aktiv sein.
In der Eisenacher Stadtgesellschaft wurden die Aktivitäten von Kevin N. und den anderen Knockout 51-Mitgliedern von Nicht-Betroffenen kaum wahrgenommen: „Man redet zwar drüber, aber hinterfragt nicht kritisch, weshalb sowas genau in Eisenach passieren konnte“, erzählen Vertreter*innen der Antifaschistischen Linken Eisenach im Gespräch mit Belltower.News. Da in den Prozessen gegen Knockout 51 nur Taten ab 2019 untersucht werden, besteht demnach die Gefahr, dass eine Aufarbeitung der langjährigen Entwicklung rechtsextremer Organisierung und ihrer gesellschaftlichen Duldung weiterhin ausbleibt. Sollte es bei der Einordnung von Knockout 51 als terroristische Vereinigung bleiben und zu Haftstrafen kommen, würde das König-Preuss zufolge dennoch Wirkung zeigen: „Die wenigen Festnahmen innerhalb der militanten Neonazi-Szene haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt: Bedrohungen und Straftaten gehen in Folge messbar zurück. Viele Menschen können sich dann freier und angstbefreiter in ihrer Stadt bewegen.” .
Der umtriebige Patrick W.
Über die Geschichte von Knockout 51 hinaus konnte sich bereits seit den 1990er Jahren eine rechtsextreme Normalität in Eisenach etablieren. Zentraler Akteur und Vernetzer der regionalen rechtsextremen Szene ist Patrick W., der als Unterstützer im Prozess angeklagt ist. Seit den 1990er Jahren ist er in der Thüringer Neonazi-Szene aktiv, zunächst im „Thüringer Heimatschutz” und NSU-Unterstützerumfeld; seit Ende der 90er auch in der NPD, heute Die Heimat. 2014 war er Spitzenkandidat der Partei für die Landtagswahlen in Thüringen. Im gleichen Jahr eröffnete er das „Flieder Volkshaus” in Eisenach. Dort veranstaltete Knockout 51 Kampfsporttrainings, Waffen wurden gelagert und Schulungen durchgeführt. Bei vielen Veranstaltungen sorgten Mitglieder für den Saalschutz. Doch Patrick W. stellte die NPD-Parteizentrale nicht nur für Kampfsporttrainings und Rechtsrockkonzerte zur Verfügung, sondern organisierte auch Familienfeste und Disco-Abende. Trotz Verurteilungen wegen Volksverhetzung und einem Sprengstoffanschlag auf einen türkischen Imbiss im Jahr 2000 sowie Ermittlungen wegen Missbrauchs und häuslicher Gewalt, schaffte er es, sich in Eisenach als „Kümmerer“ für die Nachbarschaft zu inszenieren. Bei den Kommunalwahlen 2024 erreichte die bundesweit eigentlich irrelevant gewordene Heimat ganze acht Prozent der Stimmen und damit drei Sitze im Gemeinderat.
Mit vielen seiner Neonazi-Kameraden könnte es sich Patrick W. nun allerdings verscherzt haben. Nachdem er im Dezember 2023 verhaftet wurde, hielt er sich nicht an das Szene-Gebot, nicht mit Justiz und Polizei zusammenzuarbeiten, und sagte aus. Auch beim ersten Knockout 51-Prozess am OLG Jena machte er nicht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. In seiner vierstündigen Aussage versuchte er, Knockout 51 als harmlose Hobbytruppe darzustellen, sprach aber auch detailliert über die rechtsextremen Eisenacher Strukturen. Nach seiner Aussage wurde er aus der Untersuchungshaft entlassen. In rechtsextremen Kreisen galt er wegen seiner Redefreudigkeit als „Kameradenschwein“, Solidaritätsaktionen wurden abgeblasen. Doch es gab auch Rückendeckung von Die Heimat-Funktionären. „Das zeigt: W. bleibt eine zentrale Figur innerhalb der extremen Rechten in der Region. Konsequenzen bleiben aus, er agiert unbehelligt weiter, es sind vor allem markige Worte als tatsächliches Handeln”, so die Einschätzung von König-Preuss. Es wird interessant sein zu beobachten, inwiefern sich dieser Konflikt auf den nun startenden Prozess auswirkt.
Auch bei diesem Prozess erschienen zur Eröffnung des Verfahrens Unterstützer*innen der angeklagten Neonazis vor Gericht, darunter Leon R. und Eric K. Gleichzeitig füllten viele kritische Prozessbeobachter*innen die Besucher*innenplätze. Im Vorfeld hatten Antifaschist*innen zur Prozessbeobachtung aufgerufen. Aktuell sind Prozesstermine bis Dezember 2025 angesetzt.